12

Das Summen des Faxgeräts übertönte den Wagen, der in Faiths Auffahrt einfuhr. Als heftig an die Tür geklopft wurde, lehnte sie sich aus dem Fenster. Sie konnte nicht erkennen, wer auf der Terrasse stand, aber sie sah den grauen Jaguar, der hinter ihrem Auto parkte. Seufzend nahm sie ihre Kaffeetasse und ging ins Wohnzimmer, um zu öffnen. Es war gerade erst halb neun, viel zu früh, um sich mit Gray Rouillard auseinanderzusetzen.

Als erstes fiel ihr auf, daß er fuchsteufelswütend war.

Sie hatte ihn nur einmal so wütend gesehen, und das war der Tag, an dem Renee verschwunden und er zu ihrer Baracke gekommen war, um sie rauszuschmeißen. Als sie die kalte Berechnung in seinem Blick bemerkte, kam die Erinnerung an jene Nacht zurück und ließ sie zu dem verängstigten Mädchen schrumpfen, das sie damals gewesen war. Ihr gefror das Blut in den Adern. Sie trat einen Schritt zurück, als er durch die Drahttür kam und sie lautstark hinter sich ins Schloß fallen ließ.

Das Geräusch erschreckte sie. Ihr Blick heftete sich ohne zu blinzeln auf sein Gesicht, als ob sie sich nicht trauen würde, ihn aus den Augen zu lassen.

»Was in aller Welt glaubst du eigentlich, was du da tust?« fragte er sie sehr leise. Der samtene Tonfall war ebenso furchterregend, wie wenn ein Messer über die Schneide eines anderen gezogen wurde. Er kam noch einen Schritt auf sie zu, so daß er über sie gebeugt dastand. Wieder zog sich Faith einen Schritt zurück. Die Kaffeetasse in ihrer Hand zitterte.

Für jeden Schritt, den er vorwärts machte, trat sie einen zurück. Es war wie ein langsamer Tanz, der für sie schließlich mit dem Rücken an der Wand endete. Ihre Schulterblätter drückten sich gegen das Schiefergestein, als ob sie sich irgendwie hindurchpressen könnte. Noch ehe sie zur Seite ausweichen konnte, schossen seine Arme vor. Seine Handflächen stemmten sich rechts und links von ihren Schultern gegen die Mauer. Er hielt sie in dem Käfig seines Körpers und seiner Arme gefangen. Er beugte sich ein wenig nach unten. Die oberen Hemdenknöpfe seines weißen Hemdes waren offen und zeigten ein wenig seiner dunklen, mit schwarzen Locken bewachsenen Brust. Sein Puls war direkt vor ihren Augen in der Kuhle am Ende seines muskulösen Halses deutlich zu sehen. Faith heftete ihre Augen an diese rhythmische Bewegung und versuchte verzweifelt, sich zu fangen. Sie war nicht mehr vierzehn Jahre alt. Er konnte sie nicht aus ihrem eigenen Haus werfen.

»Und?« fragte er, noch immer mit samtener, gefährlich schnurrender Stimme.

Seine breiten Handgelenke drückten sich gegen ihre Schul tern, die eine ärmellose Bluse offenbarte. Seine Haut preßte sich rauh an ihre. Seine breiten Schultern und seine Brust standen wie eine Wand vor ihr, und sein würzig männlicher Duft weitete automatisch ihre Nasenflügel. Sie klammerte sich immer noch an ihre Kaffeetasse und hielt sie wie einen Schutzschild zwischen sich und ihn. Dann schluckte sie und brachte mühsam hervor: »Wovon redest du denn überhaupt?«

Er lehnte sich noch näher zu ihr, so daß sein Bauch ihre Finger berührte. »Ich spreche von all den Fragen, die du gestellt hast. Alex hat mir gestern abend erzählt, daß du in seinem Büro warst. Mit Alex zu sprechen ist eine Sache, der kann stillhalten. Aber rate mal, wem ich heute morgen begegnet bin? Ed Morgan.«

Trotz seiner ruhigen Stimme entging ihr der kalte Zorn seines Blickes nicht. Wenn er vor Wut getobt hätte, hätte sie das nicht halb so sehr erschreckt. In dieser Stimmung aber war er zu allem fähig. Merkwürdigerweise jedoch hatte sie körperlich keine Angst vor ihm. Nein, wenn Gray sie verletzen konnte, so war es im Bereich der Gefühle.

»Ich sage es dir nur ein einziges Mal«, sagte er, die Worte überdeutlich betonend. Er brachte sein Gesicht noch näher heran, bis seine Nase fast die ihre berührte. »Stelle keinerlei Fragen mehr nach meinem Vater. Deine Neugier wird nur die Gerüchteküche anheizen und meine Familie weiter verletzen. Und wenn das passieren sollte, Faith, dann werde ich dich, egal wie, aus dieser Gemeinde vertreiben. Da hast du mein Wort drauf. Also merke dir eines: Ich will nicht, daß dein hübscher Mund den Namen meines Vaters auch nur flüstert.«

Ihre aufgerissenen grünen Augen starrten in die seinen, die kalt, schwarz und nur wenige Zentimeter entfernt waren. Sie hob ihr Kinn, und ihr Mund, den er hübsch fand, öffnete sich. Mit voller Absicht packte sie den Tiger am Schwanz und murmelte: »Guy Rouillard.«

Erst weiteten sich seine Pupillen ungläubig, dann wurde die Kälte seines Blickes von einem lodernden Feuer erfaßt. Es war vielleicht nicht klug gewesen, ihn zu provozieren, aber das Resultat war faszinierend. Sein Gesicht verdunkelte sich, und wenn sein langes Haar nicht zusammengebunden gewesen wäre, dann hätte es wohl zu Berge gestanden.

Sie hatte den Bruchteil einer Sekunde Zeit, dieses Schauspiel zu genießen. Dann bewegte er sich mit der unglaublichen Schnelligkeit, die sie schon einmal an ihm beobachtet hatte. Seine Hände umklammerten ihre Arme, und er schüttelte sie wie wild. Ihre Finger lockerten den Zugriff auf die vergessene Tasse in ihren Händen, und sie fühlte, wie sie ihr entglitt. Sie schrie auf und versuchte sie zu halten, was ihr aber durch seine unmittelbare Nähe nicht gelang. Sie konnte nur noch die fallende Tasse in ihre Richtung kippen, sonst hätte die dampfende Flüssigkeit ihn verbrannt. Der Kaffee ergoß sich über ihren dünnen Rock und klatschte an ihren rechten Schenkel, dann spritzte er auf ihre Füße. Wieder schrie sie auf, diesmal vor Schmerz. Die Tasse fiel scheppernd zu Boden, wobei aber lediglich ein Henkel abbrach. Gray sprang zurück und ließ automatisch von ihr ab. Hektisch zerrte sie den durchnäßten Stoff von ihrem schmerzenden Bein.

Sein dunkler Blick streifte sie, dann sagte er in rauhem Tonfall: »Mist.« Er riß sie zu sich heran, und seine Hände machten sich in ihrem Rücken zu schaffen. Ihr Rock fiel ihr zu Füßen. Er hob sie aus dem Kreis des Stoffes in seine Arme. Schwindelig krallte sie sich an ihn, während der Raum um sie herum verschwamm.

»Was hast du vor?« schrie sie ängstlich, als er sie schnell in die Küche trug. Der Schmerz hatte sie viel zu sehr verwirrt, und er bewegte sich schneller, als sie denken konnte. Abgesehen davon war sie sich ihrer nackten Beine, die über seinem Arm lagen, nur zu bewußt. Sie hatte nur noch ihre Unterhose und ihre Bluse an.

Er angelte mit dem Fuß nach dem Stuhlbein, zog den Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sie vorsichtig darauf. Er wandte sich dem Waschbecken zu, riß mehrere Papierhandtücher ab, faltete sie zusammen und tränkte sie mit kaltem Wasser. Das Papier tropfte noch, als er es auf ihren geröteten, brennenden Schenkel legte. Sie zuckte vor der Kälte zurück. Wasser rann ihr Bein herunter auf die Sitzfläche des Stuhles und benetzte ihr Höschen.

»Ich hatte den Kaffee ganz vergessen«, murmelte er. Tatsächlich hatte er ihn überhaupt erst wahrgenommen, als er ihr Bein hinunterrann. »Tut mir leid, Faith. Hast du hier irgendwo Tee?« Noch bevor sie antworten konnte, hatte er bereits den Kühlschrank geöffnet und die Teekaraffe, fast ein Muß in den südlichen Haushalten, herausgenommen.

Er öffnete reihenweise ihre Schubladen, bis er die frischen Handtücher gefunden hatte. Er nahm eines heraus, tunkte es in die Karaffe mit Tee und wrang es vorsichtig aus. Sie beobachtete amüsiert, wie er die Papierhandtücher von ihrem Bein pellte und sie durch das teegetränkte Tuch ersetzte. Schon das Wasser hatte sie als sehr kalt empfunden, aber der Tee war eisig. Faith atmete keuchend ein, während auch aus dem Handtuch ein Rinnsal bis unter ihren Po rann.

»Tut es weh?« fragte Gray, kniete sich neben ihren Stuhl und strich das Tuch über ihrem Schenkel glatt. Seine Stimme war vor Sorge gepreßt.

»Nein«, erwiderte sie geradeheraus. »Es ist kalt, und mein Po wird dabei ganz naß.«

Sein Gesicht war jetzt auf ihrer Höhe. Ihre Worte vertrieben die Sorge auf seinem Gesicht, und die Anspannung wich aus seinem Körper. Er legte die linke Hand auf die Stuhllehne und fragte mit einem Anflug von Humor: »Mache ich zuviel Aufhebens?«

Sie kräuselte die Lippen. »Ein bißchen vielleicht.«

»Dein Schenkel ist ganz rot. Du hast dich verbrannt.«

»Nur ein wenig. Es brennt ein bißchen, aber mehr nicht. Ich glaube nicht, daß es Blasen geben wird.« Ihr Blick wurde ganz schmal, als sie versuchte, das aufsteigende Lachen zu unterdrücken. »Ich freue mich über deine Anteilnahme. Du hättest mich trotzdem nicht fast vollkommen ausziehen müssen.«

Er blickte auf ihre nackten Beine. Die weiße Baumwolle ihres Slips war unter dem Saum ihrer Bluse kaum zu sehen. Ein Zittern durchfuhr ihn. Er strich mit der Hand über ihren verletzten Schenkel, seine Handfläche streichelte ihr festes, kühles Fleisch und genoß ihre seidige Haut. »Ich wollte dein Höschen schon seit einiger Zeit naß bekommen«, murmelte er. »Allerdings nicht mit Tee.«

Ihr Lächeln verschwand, als ob es nie dagewesen wäre. Die Spannung zwischen ihnen wuchs. Ihr Innerstes zog sich bei seinen Worten zusammen, ihre Lenden wurden ganz heiß, ihre Brüste spannten. Sie fühlte die Feuchte des Verlangens und das Eingeständnis Das hast du bereits auf ihren Lippen. Sie unterdrückte es, da ihre verräterische Reaktion eine Grenze überschritten hätte, über die sie nicht gehen wollte. Wie ein Magnetfeld strömte Gray heiße, drängende sexuelle Spannung aus. Sie brauchte es ihm nur zu gestehen, und er wäre auf ihr.

Das Verlangen, ihn zu berühren, sich gegen seinen breiten, harten Körper zu pressen und sich ihm zu öffnen, war fast schmerzhaft spürbar. Nur ihr Selbsterhaltungstrieb ließ sie still und schweigend verharren.

Er lehnte sich fast unmerklich noch näher, sie konnte seinen würzig-süßlichen Geruch einatmen. Das Blut pulsierte ihm in den Adern. Schweigend beobachteten sie einander, wie zwei Erzfeinde, die auf einer staubigen Straße aufeinandertrafen. Er wollte ihr Höschen herunterziehen und sein Gesicht in ihrem Schoß vergraben. Es war ein so starkes Bedürfnis, daß er vor Anstrengung, es zu unterdrücken, zitterte. Er fragte sich, was sie tun würde, wenn er seinem Impuls nachgäbe. Würde sie es mit der Angst bekommen und ihn wegstoßen? Oder würden ihre Beine sich öffnen und ihre Hände sich in seine Haare krallen?

Seine Hand spannte sich um ihren Schenkel, seine Finger drückten die seidige Haut, die durch seine Berührung erwärmt worden war. Er sah, wie sich ihre Pupillen weiteten, dann ihre Lider sich senkten und sie einen langen, tiefen Atemzug machte, der seinen Blick auf ihre Brüste lenkte. Er bewegte seine Hand ein wenig und rieb seinen Daumen vor und zurück. Mit jeder Berührung bewegte er sich weiter und weiter nach oben und auf die Spalte zwischen ihren Beinen zu. Er wollte sie berühren. Er vergaß Monica, er vergaß Guy, er vergaß alles bis auf die langsame, verzehrende Bewegung seines Daumens, der sich näher und näher an die ungemein zarte Haut zwischen ihren Beinen herantastete, die so dürftig mit einem Baumwollslip bedeckt war. Er würde seinen Daumen unter das Beingummi gleiten lassen und dann auf ihre fest geschlossene Falte stoßen. Dann würde er seinen Daumen aufwärts lenken, sie gleichzeitig öffnen und den kleinen Hügel über ihrem Geschlecht finden.

Wenn sie sich von ihm berühren ließe, dann würde er sie erobern. Er würde sie nehmen.

Sein Daumen fuhr über das Gummiband. Sie bewegte sich. Ihre Hand klammerte sich an seine und zog seine von ihrem Bein fort. »Nein«, flüsterte sie.

Enttäuschung durchfuhr ihn wie ein Buschfeuer. Ein Ton, der einem Knurren ähnelte, entfuhr seiner Kehle. Körperliches Verlangen kämpfte mit seinem Verstand um die Vormachtstellung. Sein Verstand gewann den Kampf, allerdings nur äußerst knapp. Er schwitzte vor Lust, sie zu besitzen. Seine Erektion preßte sich schmerzhaft gegen die ihn beengende Hose.

»Nein«, wiederholte sie, als ob die ursprüngliche Ablehnung nochmals der Betonung bedürfe. Vielleicht war es zur Klärung ja auch wirklich notwendig.

Langsam drehte er die Hand, so daß seine Finger sich mit ihren verschränkten. »Dann halte für eine Minute meine Hand.«

Sie klammerte sich an ihn, fühlte den Druck seiner Finger, die sich unruhig bewegten, als ob er etwas suchte. Seine andere Hand klammerte sich an die Rückenlehne ihres Stuhls, seine Gelenke standen vor Anspannung weiß hervor.

Nach einem endlosen Augenblick, in dem die Zeit, in der der Blick sie verband, stehengeblieben zu sein schien und das Verlangen zwischen ihnen flackerte, begann die schreckliche Anspannung nachzulassen. Seufzend wechselte er die Position und streckte sein Bein aus. Er befreite seine Hand, um seine Hose zurechtzurücken, und die Falte zwischen seinen Augenbrauen glättete sich.

Sie räusperte sich, unsicher, ob sie überhaupt etwas sagen sollte.

Er richtete sich steif auf. Die Ausbeulung seiner Hose ließ keinerlei Zweifel zu, aber er hatte jetzt wieder die Kontrolle über sich erlangt. Er zerrte ein Handtuch vom Haken und legte es auf ihre Schenkel. Auf diese Weise verbannte er die Versuchung aus seinem Blick, wenn auch nicht aus seiner Nähe.

Nach einer Weile fragte er mit ruhiger Stimme: »Bist du dir auch sicher, daß du dir nicht wehgetan hast?«

»Ja.« Sie sprach ebenfalls sehr leise, als ob eine lautere Stimme ihre Kontrolle zunichte machen und sie über die Klippe stürzen würde, die sie eben gerade noch vermieden hatte. »Es ist nur eine kleine Verbrennung. Morgen werde ich davon wahrscheinlich gar nichts mehr spüren.« Das Brennen war bereits verschwunden, die feuchten, kalten Teetücher hatten die Haut beruhigt.

»Also gut.« Er sah auf sie herab, dann hob er die Hand, als ob er ihr Haar streicheln wollte, ließ sie aber sogleich wieder fallen. Wenn er sie berührte, würde das nicht ohne Folgen bleiben. »Erzähl mir jetzt, warum du all diese Fragen nach meinem Vater gestellt hast.«

Sie sah zu ihm auf, wobei das dunkle Feuer ihres Haars ihr über den Rücken fiel. Sie wollte ihm erzählen, daß sie glaubte, sein Vater sei tot. Aber die Worte blieben ihr im Halse stecken. Sie konnte es nicht über sich bringen. Sie mußte einfach weiter glauben können, daß er nichts mit dem Tod seines Vaters zu tun hatte, denn sie liebte ihn, und es würde ihr das Herz brechen. Und weil sie ihn liebte, konnte sie ihn nicht verletzen. Wie sollte sie ihm erzählen, daß sein so geliebter Vater nicht nur tot, sondern vermutlich sogar ermordet worden war?

Statt dessen erzählte sie ihm etwas, was zwar der Wahrheit entsprach, aber doch nur ein Teil dieser Wahrheit war. »Er gehörte auch zu meiner Vergangenheit. Ich kann mich gar nicht mehr an eine Zeit erinnern, wo er nicht schon dazugehörte. Aber gekannt habe ich ihn dennoch nicht. Wenn er mich sah, war er immer nett zu mir. Dann habe ich seinetwegen meine Mutter verloren. Glaubst du etwa, daß ich nicht wissen will, was für ein Mensch er war? Darf ich denn nicht versuchen, die Lücken zu füllen, um mir aus dem Geschehenen einen Reim zu machen?«

»Viel Glück«, knurrte er. »Ich dachte immer, daß ich ihn besser als irgend jemand sonst auf der Welt kannte. Und trotzdem kann ich mir sein Verschwinden nicht erklären.« Er schwieg einen Augenblick. »Wenn du noch irgendwelche Fragen über ihn stellen möchtest, dann frage mich. Denn ich meine es ernst mit dem, was ich gesagt habe. Ich will dir gegenüber nicht gemein werden, Faith, aber ich werde alles tun, um meine Familie zu beschützen. Vergiß das nicht.«

Da er es ihr schon angeboten hatte ... Aber jetzt war wohl nicht der Zeitpunkt, ihr Zusammentreffen dadurch zu verlängern, daß sie ihm halb entblößt Fragen stellte. Wie sollte er diese, sexuell derart angespannt, beantworten können? Sie betrachtete ihn nur schweigend. Seine Mundwinkel hoben sich zu einem breiten Lächeln. »Ich höre ja gar keine Versprechungen? Denk darüber nach, Liebling. Mach es dir nicht schwerer als unbedingt nötig. Verhalte dich einfach ruhig und benimm dich.«

»Wie ein artiges kleines Mädchen?«

»Wie eine kluge Frau«, korrigierte er sie. Wieder bewegte sich seine Hand auf sie zu, wieder wurde er abgewiesen. Sie spürte, daß er noch bleiben wollte, seine Sache zu Ende führen wollte. Aber sie hatte ihn abgelehnt, und nun zwang sie sich, ihre Entscheidung zu respektieren – jedenfalls für den Augenblick. Jedesmal wenn sie einander über den Weg liefen, würde der Kampf erneut ausbrechen. Und jedesmal wäre die Versuchung gerade deshalb noch stärker, weil sie bisher unterdrückt worden war.

»Ich werde jetzt gehen«, sagte er.

»Gut.«

Er blieb stehen, dann sagte er: »Ich will nicht gehen.«

»Tu es trotzdem.«

Er lachte. »Du bist eine knallharte Frau, Faith Devlin.«

»Hardy.«

»Den habe ich nicht gekannt, er kommt mir unwirklich vor. Hast du ihn geliebt?«

»Ja.« Aber nicht so, wie ich dich liebe. Niemals so.

Seine dunklen Augen funkelten. Jetzt berührte er sie doch und legte seine Hand auf ihre Wange. »Für mich wirst du immer eine Devlin bleiben, mit deinen roten Haaren und deinen Hexenaugen.« Er beugte sich und preßte seine Lippen einen kurzen Augenblick lang auf ihre. Dann war er verschwunden. Als die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, sank Faith erleichtert auf einen Stuhl.

Es schien ihr, als ob ein Orkan durch das Zimmer gefahren sei und sie umhergewirbelt hatte. Ihr Herz schlug immer noch wie wild, und ihre Knie waren weich wie Butter. Diese kurze Zeit gehörte zu den erotischsten Minuten ihres Lebens. Und er mußte dazu nichts weiter tun, als ihr Bein zu berühren. Wenn sie tatsächlich miteinander geschlafen hätten, dann hätte sie vollkommen die Selbstbeherrschung verloren. Das Verlangen, das ein einziger seiner Blicke, eine flüchtige Berührung oder auch lediglich sein herrlich würziger Geruch auslösen konnte, jagte ihr Angst ein.

Für mich wirst du immer eine Devlin bleiben.

Nicht gerade das schönste aller Komplimente. Sie konnte nur den Schluß daraus ziehen, daß er niemals ihre Herkunft, ihre Familie vergessen würde und daß sie nichts tun konnte, um seine Meinung über sie zu ändern.

Und ich werde dich immer lieben, flüsterte sie. Immer.

Nur eine Berührung ihres Beins, und er wäre fast gekommen, dachte Gray ironisch. Himmel, wenn er wirklich einmal in sie eindringen sollte, dann würde sein Herz von der Anstrengung, sich zurückzuhalten, vermutlich explodieren.

Seine Hände zitterten beim Fahren, eine ganz normale Reaktion, wenn er mehr als eine Minute in Faiths Gegenwart verbracht hatte. Es wäre alles viel einfacher, wenn sie auf ihn nicht ebenso reagieren würde. Sie hätte ruhig bleiben und ihn ablehnen können. Statt dessen aber dieser schmelzende Blick ihrer Augen! Er kannte all die Anzeichen. Ihr Atem wurde tiefer, ihre Brüste wurden rund und fest, ihre Knospen richteten sich auf. Und obwohl er sie nur flüchtig geküßt hatte, weil er der Versuchung nicht länger hatte widerstehen können, waren ihre Lippen doch rot und geschwollen gewesen. Eine leichte Röte hatte unter ihrer Haut gelegen.

Er begehrte sie. Er mußte sie zum Gehen überreden. Er begehrte sie. Die sich ausschließenden Imperative machten ihn verrückt.

Sie hatte ihm nicht versprochen, keine Fragen mehr zu stellen. Sie hatte nicht mit ihm argumentiert, jetzt aber wurde ihm klar, daß hinter ihrem Schweigen eine grenzenlose Sturheit steckte. Sie mochte nicht aktiv kämpfen, aber sie widerstand. In jungen Jahren war Faith oft vom Leben gebeutelt worden, sie war zu hilflos gewesen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Jetzt aber, wo sie ihr Schicksal selbst bestimmen konnte, ließ sie sich nicht leicht von ihrem Kurs abbringen. Diese Gradlinigkeit war vermutlich der Grund, warum sie mit erst sechsundzwanzig Jahren bereits Besitzerin ihres eigenen Unternehmens war.

In Anbetracht dieser Tatsache war es nicht sehr wahrscheinlich, daß er sie davon überzeugen konnte, die Stadt zu verlassen. Seiner Vernunft, sich von ihr fernzuhalten, konnte er ebenfalls nicht trauen. Er blickte also einer äußerst schwierigen Zukunft entgegen.

Monicas Hände zitterten, als sie die Tür zu Alex' Büro öffnete und Andrea anlächelte. Es gelang ihr, ihre Stimme ruhig und freundlich klingen zu lassen. »Ich hoffe doch, daß er im Büro ist. Ich war gerade in der Stadt, und da ist mir etwas eingefallen, was ich gern mit ihm besprechen würde.«

»Es ist dein Glückstag«, erwiderte Andrea lächelnd. Sie kannte Monica, seit diese in den Windeln gelegen hatte. »Er ist vor fünf Minuten zurückgekommen. Er macht sich gerade noch etwas frisch, wird aber in einer Minute hier sein. Setz dich doch.«

Daß er sich frisch machte, war natürlich lediglich die höfliche Form, ihr mitzuteilen, daß Alex auf der Toilette war. Mama würde so etwas Ähnliches sagen, sollte sie überhaupt auf eine Toilette auch nur anspielen. Monica hatte während ihres zweiunddreißig Jahre langen Lebens noch niemals gehört, daß ihre Mutter die tatsächliche Funktion einer Toilette erwähnt hatte. Körperliche Dinge mußten, so gut es ging, versteckt werden. Monica konnte sich nicht vorstellen, daß ihre Mutter jemals Sex gehabt hatte, obwohl sie und Gray der lebende Beweis dafür waren, daß es mindestens zweimal passiert sein mußte. Und was den Besuch eines Gynakologen und die Erniedrigung einer Geburt betraf, so war es ein Wunder, daß Noelle ihren Vater nicht gleich nach dem ersten Mal aus dem Schlafzimmer ausgeschlossen hatte, um das alles nicht noch einmal durchleben zu müssen.

Monica vermied das Ledersofa, ging auf das Fenster zu und schaute zum Rathaus hinüber. Die frischen Frühlingsblüten machten nun dem üppigen Blätterwuchs des Sommers Platz. Die Zeit drängte unaufhörlich vorwärts. Die Erde und die Pflanzen durchliefen ihre Zyklen, ohne sich dabei von kleinlichen Menschen beeinflussen zu lassen, die in ihrer Überheblichkeit glaubten, daß sie alles in der Hand hatten.

Alex kam in das Zimmer und lächelte bei ihrem Anblick. »Was bringt dich heute zu mir?« Er war gerade gestern abend bei ihnen zum Essen gewesen, wo man dringende Fragen hätte erörtern können.

Monica betrachtete das hagere, gutaussehende Gesicht, die freundlichen grauen Augen, und ihr Hals wurde trocken. Seit einer Woche versuchte sie den Mut aufzubringen, um mit ihm zu sprechen. Sie hatte es heute sogar bis in sein Büro geschafft, aber jetzt versagte ihr die Stimme.

Er runzelte angesichts ihrer Zurückhaltung die Stirn. »Was ist los, Liebling?« fragte er leise, schloß die Tür, kam auf sie zu und nahm ihre Hand.

Sie atmete tief durch. Manchmal glaubte sie, daß sie vollkommen verrückt sei und daß die Sache mit Alex nur in ihrer Phantasie existierte. In seinem Blick oder seinem Benehmen war nie auch nur eine Andeutung ihres Verhältnisses zu spüren, wenn sie sich irgendwo in der Öffentlichkeit trafen. Er war ganz einfach nur der Alex, der er immer gewesen war. Eine standhafte Schulter, an die man sich anlehnen konnte, die er bereitwillig zur Verfügung gestellt hatte, bis sie und Gray alles selbst übernehmen konnten. Es schien tatsächlich so, als ob diese heimlichen Augenblicke sich zwischen zwei anderen Menschen abspielten, zwischen Papa und Mama, die sich in der Person anderer begegneten.

Es war aber Alex, ermahnte sie sich selbst. Er würde sich nicht in Luft auflösen. Seine Liebe und seine Unterstützung hingen nicht davon ab, ob sie mit ihm schlief oder nicht. Sie war für ihn eine bequeme Lösung, ein Ventil für seine aufgestauten Gefühle gewesen, mehr nicht.

Das jedenfalls sagte ihr die Vernunft. Emotional jedoch war sie zu Tode erschrocken. Ein Vater hatte sie bereits verlassen, seine Liebe zu ihr war nicht stark genug gewesen, um sich der Verlockungen einer Renee Devlin zu entziehen. Sie hätte es nicht ertragen können, wenn sie Alex auch noch verloren hätte.

Aber dann war da Michael. Wenn sie jetzt nicht die Gelegenheit beim Schopfe ergriff, dann würde sie ihn vielleicht für immer verlieren. Ihre Wahl zwischen diesen beiden Männern war eigentlich gar keine Frage. Michael gehörte ihr ganzes Herz. Er war das Leben, das sie ausfüllte.

»Monica?« drängte Alex, und seine grauen Augen verdunkelten sich sorgenvoll.

Sie schluckte. Sie mußte es ihm sagen. Sie schloß die Augen und ratterte es herunter. »Ich werde Michael McFane heiraten.«

Einen kurzen Augenblick lang war es still. In Erwartung eines Unheils kniff sie die Augen noch fester zusammen. Als jedoch die Sekunden verstrichen, ohne daß Alex etwas sagte, hielt sie es nicht länger aus und öffnete die Augen.

Er lächelte sie in liebevoller Überraschung an. »Meine herz lichen Glückwünsche«, sagte er lachend. »Was hast du denn geglaubt, was ich sagen würde?«

Erstaunt blickte sie ihn an. »Ich ... ich weiß es nicht.«

»Ich bin glücklich für dich, meine Liebe. Weder du noch Gray haben bisher irgendeine Neigung erkennen lassen, daß ihr heiraten werdet. Das hat mir immer Sorgen bereitet. Der Sheriff ist ein guter, verläßlicher Mann.«

Sie benetzte ihre Lippen. »Mama wird es aber nicht gefallen.«

Er schwieg einen Moment lang nachdenklich. »Wahrscheinlich nicht, aber das sollte dich nicht bremsen. Du hast es verdient, glücklich zu sein, Monica.«

»Ich will sie nicht verletzen.«

»Es gibt Dinge, denen sie sich einfach wird stellen müssen. Andere wiederum sollte man ihr vielleicht nicht zumuten. In diesem Falle aber solltest du Michael heiraten und so glücklich wie nur irgend möglich werden. Glaube mir, diese Neuigkeit wird sie nicht halb so sehr aufregen wie die Sache mit Faith Devlin?«

»Faith Devlin?« Monica blinzelte. »Was ist mir ihr?« Da Noelle bereits wußte, daß Faith wieder in Prescott wohnte, konnte sie sich auf Alex' Bemerkung keinen Reim machen.

»Hat dir Gray nicht davon erzählt?« Er schien überrascht.

»Offensichtlich nicht. Was hätte er mir denn erzählen sollen?«

Er seufzte. »Sie hat hier in der Stadt alle möglichen Fragen gestellt – über Guy. Persönliche Fragen. Wenn man sie nicht bremst, dann wird sie alles wieder aufwühlen. Das wird Noelle viel mehr zusetzen als deine Hochzeit.«

Monica schien es, als ob man ihr einen Schlag versetzt hätte. Faith Devlin stellte Fragen über ihren Vater? Allein schon der Gedanke machte sie wütend. War es nicht genug damit, daß ihre Hure von Mutter ihr ihren Vater weggenommen hatte? Monicas Gesicht rötete sich vor Wut. »Was für Fragen hat sie denn gestellt? Verflixt noch mal, was muß sie sich da einmischen?«

»Persönliche Fragen. Was für ein Mensch er war und ähnliche Dinge. Gestern ist sie hier vorbeigekommen, weil sie gehört hatte, daß ich Guys bester Freund war. Mit mir zu sprechen ist eine Sache. Aber Gray hat heute früh herausgefunden, daß sie auch Ed Morgan mit Fragen belästigt hat.«

»Sie hat Ed Morgan über Papa ausgefragt?« schrie Monica. »Er ist das größte Klatschmaul weit und breit!«

»Gray hat sich der Sache angenommen«, beruhigte sie Alex und tätschelte ihre Hand. »Du kennst ja Gray. Nach nur zehn Sekunden konnte Ed Morgan nur noch stottern.«

Wenn Gray in Wut geriet, war er mit seinen kalt glitzernden dunklen Augen tatsächlich beängstigend. Sie glaubte nicht, daß Ed Morgan ihm auch nur annähernd zehn Sekunden widerstanden hatte. Die Vorstellung amüsierte sie einen Augenblick lang, aber dann wurde sie von ihrer Empörung über Faith Devlins Wagemut überlagert.

»Ich kann ihre Neugier verstehen«, sagte Alex. »Aber ich habe schon zu Gray gesagt, daß es für deine Mutter ein Verhängnis wäre, wenn sie das herausfände.«

»Ich kann ihre Neugier aber nicht verstehen!« schrie Monica. Es bedurfte so wenig, um alles wieder in ihr hochkommen zu lassen: das Gefühl des Verlorenseins, den erstickenden Schmerz. Haß brodelte in ihr auf. Sie riß ihre Hand los und wandte sich ab. »Gray hat Ed Morgan zum Schweigen gebracht, aber was macht er mit ihr?«

»Das weiß ich nicht.« Alex schüttelte den Kopf. »Du wirst sicherlich nicht mit mir übereinstimmen, aber anfangs war ich dafür, daß man sie in Ruhe läßt. Was damals geschehen ist, war nicht ihre Schuld. Sie hat das Recht, dort zu leben, wo sie leben will. Das ist etwas, das Noelle hätte akzeptieren müssen, um dann das Beste daraus zu machen. Aber hier geht es um etwas anderes. Es geschieht mit voller Absicht, und es ist etwas, woran sie die Schuld trägt.«

»Gray wird sich darum kümmern«, erwiderte Monica. »Er muß es einfach.«

»Ich weiß nicht, ob er dazu in der Lage ist.«

»Natürlich ist er das! Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die er tun könnte.«

»Laß es mich noch deutlicher sagen. Angesichts seiner Gefühle für Faith wird er wohl kaum mit der nötigen Härte gegen sie vorgehen. Wach auf, Monica!« warnte er sie. »Paß auf deinen Bruder auf. Er fühlt sich zu ihr hingezogen. Die ganze Sache ist für ihn nicht leicht.«

Monica spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich und sich ihre Züge verhärteten. Gray fühlte sich zu dieser Frau hingezogen? Nein. So gemein konnte Gott nicht sein. Er würde es nicht zulassen, daß sie diesen Alptraum noch einmal durchleben mußte.

Sprachlos reichte sie Alex die Hand. Sie konnte sein offenkundiges Mitleid mit ihr nicht ertragen und verließ eilig das Büro. Erst auf der Straße fiel ihr wieder ein, daß sie versäumt hatte, ihm zu sagen, daß sie ihr Verhältnis beenden mußten.

Wenn Gray mit Renee Devlins Tochter zusammen wäre, würde das Mama umbringen. Der Klatsch würde so gemein werden, daß sie niemals wieder ihr Gesicht zeigen könnte. Monica lachte bitter auf. Daß sie auch nur einen Gedanken daran verschwendet hatte, Mama würde sich wegen Michael McFane Sorgen machen!